|Lisa Baaske
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Gemeinsam lernen

„Inklusion, das bedeutet, alle Menschen zu integrieren, aber auch Strukturen zu schaffen, dass alle Menschen Anteil nehmen können, sich beteiligen können“, stellt Prof. Olaf Dörner, Inhaber des Lehrstuhls für Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Wissenschaftliche Weiterbildung und Weiterbildungsforschung, fest. „Das heißt aber auch, Inklusion überhaupt zu ermöglichen, also allen Mitgliedern unserer Gesellschaft Möglichkeiten zu bieten, sich entfalten zu können. Dass sie sich zum Beispiel möglichst unterschiedslos bilden und arbeiten können, dabei aber die jeweiligen Einschränkungen und Fähigkeiten der Akteurinnen und Akteure berücksichtigt werden.“ Inklusion werde heute noch zu oft für Menschen mit Behinderung gedacht.

Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention von 2009 hat das Thema Inklusion an Fahrt aufgenommen. „Es gibt Ansprüche und Erwartungen in diese Richtung, gleichwohl Inklusion bei Weitem nicht verwirklicht ist, auch in unserer Universität nicht. Es gibt zwar Ansätze von Barrierefreiheit, aber vollkommen inklusiv ist unsere Universität nicht gestaltet. Die Frage ist auch, ob das unbedingt das Ziel ist. Aber das programmatische Ziel gibt es. Und Erwachsenenbildung ist ein Bereich unserer Gesellschaft und insofern davon auch betroffen“, betont der Erwachsenenbildungswissenschaftler. Dennoch ist es so, dass Menschen mit Behinderung eigentlich nicht zu den traditionellen Adressaten und Adressatinnen der Erwachsenenbildung gehören, insofern ist Inklusion in Praxis und Forschung der wissenschaftlichen Weiterbildung ein Randthema.

Auch deswegen sei es besonders spannend gewesen, erstmals ein inklusives Weiterbildungsangebot für und mit Menschen mit geistigen Behinderungen an unserer Uni anzubieten, erläutert Prof. Dörner. Er leitet das im Sommersemester gestartete Programm „Werkstatt-Uni“, das in Kooperation mit den Pfeifferschen Stiftungen Magdeburg umgesetzt wird. Dieses richtet sich sowohl an Erwachsene, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, als auch an das pädagogische Personal, das sie anleitet und im Arbeitsalltag unterstützt. Gleichzeitig entwickeln und erproben Studierende innerhalb dieses Projekts gemeinsam mit den Männern und Frauen mit geistigen Behinderungen neue Formate und Materialien der inklusiven Erwachsenen- und Weiterbildung. „Es geht darum, Lernmaterial für Erwachsene zu entwickeln. Lernmaterial für Schriftspracherwerb für Kinder ist ungeeignet. Es muss für die speziellen Bedürfnisse der Erwachsenen mit Behinderungen entwickelt werden“, bringt es Prof. Dörner auf den Punkt. Bildungsforscherinnen und -forscher begleiten das Projekt wissenschaftlich. „Wir wollen mit der Werkstatt-Uni auch herausfinden, wie inklusive Erwachsenen- und Weiterbildung künftig gestaltet werden kann.“

Eine Teilnehmerin des inklusiven Weiterbildungsangebots macht mit einer Studentin Schreibübungen (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgEine Teilnehmerin des inklusiven Weiterbildungsangebots macht mit einer Studentin Schreibübungen (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Die inhaltlichen Schwerpunkte des Weiterbildungsangebots liegen in den Bereichen Lese- und Schreibfähigkeiten, Rechenkompetenzen sowie in der politischen Bildung. Praktiziert wird unter anderem das Konzept des „Lernens am gemeinsamen Gegenstand“. Kommuniziert wird in einfacher Sprache. Im Wochenrhythmus kommen die Mitarbeitenden einer Behindertenwerkstatt gemeinsam mit dem pädagogischen Personal an die Uni. Hier behandeln sie gemeinsam mit den Studierenden ein Thema, zum Beispiel Magdeburg. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschäftigen sich dann tätigkeitsorientiert mit ihren Lieblingsorten in Magdeburg und lesen, beziehungsweise schreiben dazu, angeleitet durch die Studierenden, beispielsweise einzelne Wörter, um ihre Lese- und Schreibfähigkeiten zu stärken. Jemand, der noch nicht oder kaum lesen und schreiben kann, hat aber gleichzeitig die Möglichkeit, einzelne Buchstaben kennenzulernen und zu erfahren“, erklärt Prof. Dörner. Die pädagogischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Werkstätten lernen in derselben Lernumgebung. Vor allem lernen sie, wie die Mitarbeitenden der Werkstatt lernen, sich Materialien aneignen und das Uni-Leben erfahren. Und auch sie lernen Elemente der Grundbildung als Vermittlungsgegenstand. Lesen und Schreiben – das sind Fähigkeiten, die eine Teilhabe an der Gesellschaft erleichtern, die die Pädagoginnen und Pädagogen in den Arbeitsalltag der Menschen mit Behinderungen integrieren können, um der Bildungsaufgabe der Werkstätten für behinderte Menschen besser nachkommen zu können. Bleiben wir bei dem Beispiel Magdeburg, sind dies Fakten zur Geschichte der Stadt, zu Sehenswürdigkeiten, aber vor allem Anleitungen zur Nutzung kultureller Angebote der Stadt.

Die Werkstatt-Uni wurde im Sommersemester 2022 erstmals angeboten. „Unser Eindruck ist, dass das Programm wirklich gut angenommen wird sowohl von den Menschen mit Behinderung als auch von ihren pädagogischen Betreuerinnen und Betreuern sowie den Studierenden. Natürlich haben sich in der ersten Runde in diesem Semester auch erste Probleme, wie die räumlichen Gegebenheiten, ergeben oder wir mussten lernen, dass zum Beispiel Routinen, wie pünktliches Essen, eine große Rolle spielen. Aber das sind Kleinigkeiten, an die wir uns anpassen können und wir wollen auch in Zukunft in der Werkstatt-Uni weiter gemeinsam lernen“, so Prof. Dörner abschließend.

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